Ludwigsburger Kreiszeitung vom 19. Dezember 2016
„Ich fühle mich wie ein schwarzer Deutscher“, sagt Bashir und lacht. Er spricht leise und schnell. Sein Deutsch ist noch nicht perfekt, aber man versteht ihn gut. Der 18-jährige Somalier kam als Flüchtling vor eineinhalb Jahren nach Deutschland und ist mittlerweile auch in der Gesellschaft angekommen.
Im September hat er eine Ausbildung in Winnenden in der Paulinenpflege zum Hauswirt begonnen. Aus diesem Grund ist er mittlerweile auch in den Rems-Murr-Kreis gezogen. „Ich bin jeden Tag eineinhalb Stunden mit dem Bus und der Bahn zur Arbeit gefahren“, erzählt Bashir. Seit Dezember wohnt er mit drei anderen Mitarbeitern der Paulinenpflege zusammen in einer WG. Das Diakonische Werk hat ein Projekt für Flüchtlinge uns Leben gerufen, um die jungen Menschen in eine Ausbildung zu bringen. Verschiedene Einrichtungen, die unter dem Dach des Diakonischen Werks sind, bieten Lehrstellen für Flüchtlinge an. Eigentlich könnte Bashir noch keine Ausbildung beginnen, da sein Asylantrag noch nicht genehmigt wurde. Das Projekt ermöglicht es ihm dennoch. „Die Chance stehen aber sehr gut, dass er bleiben darf“, sagt Michael Rütsche, Fachleiter der Jugendhilfe Hochdorf, von der Bashir betreut wird, seit er in Deutschland ist. Die Betreuung reicht von der Unterbringung und der Bewältigung des Alltags über die deutsche Bürokratie bis hin zur medizinischen Versorgung. Schritt für Schritt wird den Jugendlichen die Selbständigkeit antrainiert. „Man muss sich vorstellen, dass sie völlig alleine in einem fremden Land sind. Sie kennen weder die Sprache noch die Kultur und müssen ihren Alltag alleine bewältigen“, sagt Rütsche. Bashir ist mittlerweile selbständiger. Zwei bis drei Mal die Woche fährt Stefan Vaihinger, der den 18-Jährigen betreut, zu dem jungen Mann nach Winnenden. Wenn er seinen Alltag und die Bürokratie alleine meistert und finanziell auf eigenen Füßen steht, ist die Arbeit der Jugendhilfe getan. Bis die Jugendlichen die fremde Kultur verstehen, kann es einige Fehltritte geben. Anfangs kam Bashir öfter zu spät zur Arbeit. „In Somalia kann man um elf kommen, wenn man sagt, dass man um neun Uhr da ist. Das ist normal, weil man immer warten muss. In Deutschland ist jeder pünktlich und man muss sich entschuldigen, wenn man zu spät ist“, sagt der junge Mann. Mittlerweile hat er sich die deutsche Pünktlichkeit angewöhnt. Auch sein Blick auf die Polizei hat sich mit der Zeit verändert. „In Somalia gibt es seit 25 Jahren keine funktionierende Polizei“, sagt der 18-Jährige. Dass er den Beamten anfangs nicht traute, sei deshalb nicht verwunderlich, ergänzt Stefan Vaihinger. Um den Flüchtlingen zu erklären, was die Aufgaben der Polizei sind und welche Gesetze es gibt, wurden an zwei Nachmittagen Vorträge veranstaltet. „Ich wurde schon öfters kontrolliert, vor allem am Bahnhof. Aber ich habe verstanden, dass die Polizei gut ist“, sagt Bashir. Eine andere deutsche Verhaltensweise hat ihm allerdings am Anfang Kopfzerbrechen bereitet. „Die Deutschen schauen immer auf ihr Handy, wenn sie in der Bahn sitzen. Sie reden gar nicht miteinander. Ich dachte erst, sie haben Stress mit den anderen. Aber ich habe gelernt, dass das normal ist“, sagt er und lacht. In Somalia sei es hingegen normal, sich zu unterhalten. „Dort muss man mit Leuten reden.“ „Ich mag es hier und möchte bleiben“, sagt der 18-Jährige auf die Frage, ob er sich hier wohlfühlt. Denn in seinem Heimatland gibt es nichts mehr, für das er zurückkehren würde. Auf die Frage, ob er Kontakt zu seiner Familie hat, wird der sonst so lebhafte junge Mann still. „Es gibt keine Familie mehr“, sagt er schließlich. In Deutschland hat er aber mittlerweile Freunde gefunden. Einige kommen wie er aus Somalia, andere aus Deutschland. Bashir ist sehr offen und hat in Hochdorf Freunde gefunden. „wir haben zusammen deutsches Essen gekocht und Fußball gespielt“, sagt er. Nach seinem Umzug versucht er, weiterhin Kontakt zu halten. Dass das nicht einfach wird, weiß er. Michael Rütsche ist überzeugt, dass der 18-Jährige in Winnenden neben seinen alten Freunden auch bald neue finden wird. „Bashir ist sehr offen und bringt sich selber ein“, sagt er. Von Lisa Nack / Foto: Benjamin Stollenberg