Ludwigsburger Kreiszeitung 30.11.2016
Walter Sittler mit einer Lesung zu Erich Kästner und Dieter Hildebrandt im Kronenzentrum (von Angelika Baumeister).
Walter Sittler setzte die Brille auf und sezierte als Dieter Hildebrandt spitzzüngig das aktuelle Geschehen. Dass Hildebrandt viel mit Erich Kästner gemeinsam hat und sie gar kein seltsames Paar sind, machte Sittler bei einem Benefizauftritt im Kronenzentrum deutlich.
Der beliebte Fernseh- und Theaterschauspieler ist für seine Lesungen mit Werken von Kästner und Hildebrandt bekannt. Jetzt brachte er sie für einen guten Zweck zusammen auf die Bühne und den Anlass hätten beide wohl unterstützt. Die Evangelische Jugendhilfe Hochdorf braucht Geld, um ihr Projekt „Ausblick“ für Kinder von psychisch erkrankten Eltern fortführen zu können. Der Abend unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Jürgen Kessing trug dazu bei. Die betreute Gruppe der Jugendhilfe macht das Leben der Kinder ein Stück weit erträglicher, denn sie leiden selbst unter der Krankheit ihrer Eltern.
Ratloses Gewissen im Volk trifft auf geschmeidige Wahlkämpfer
Der 1974 verstorbene Schriftsteller und Kabarettist Erich Kästner und der Ende 2013 verstorbene Schauspieler und Kabarettist Erich Kästner und der Ende 2013 verstorbene Schauspieler und Kabarettist Dieter Hildebrandt bewiesen in ihrem Texten stets Empathie für die kleinen Leute, wie Sittler betonte. Und sie kannten sich. Als Hildebrandt 2013 den Erich-Kästner-Preis verliehen bekam, erinnerte er an Begegnungen. Hildebrandt, der Student in München, und der bekannte Autor Kästner, sein Vorbild. Hildebrandt machte Studentenkabarett und Kästner war als Zuschauer dabei. Walter Sittler setzte sich an den Tisch auf der Bühne. Er gestikulierte, spottete, schwadronierte, empörte sich und wurde auch ganz still, machte Bedrückung spürbar.
Erich Kästner rührt mit seinen Geschichten nach wie vor an, sie erzählen von den Nöten der Menschen und seiner eigenen Kindheit. Seine Texte sind aber auch scharf wie Schwerter. Beispielweise der Zeitungsartikel „Talent und Charakter“. Er habe als kleiner Junge den Unsinn geglaubt, dass jeder große Künstler zugleich ein wertvoller Mensch sein müsse, so Kästner. Er macht sogleich auf einen Irrtum aufmerksam: Die Mutmaßung, gerade diejenigen, die mit eiserner Beharrlichkeit auf ihre besondere Eignung für wichtige Stellungen im Kulturleben hinweisen, seien tatsächlich besonders geeignet. Man dürfe solchen Leuten nicht unbedingt glauben, schreibt Kästner weiter. Passend auch Kästners Ansprache an Millionäre: „Warum wollt ihr so lange warten, bis sie euren geschminkten Frauen und euch und den Marmorpuppen im Garten eins über den Schädel hauen?“ Sittler stellte dieser klaren Aufforderungen an die reichen Leute, sich zu bessern und die Welt zu ändern, Texte von Hildebrandt gegenüber. Sie handeln von Milliardären und dem schwerreichen Großinvestor Waren Buffet, der vom Krieg zwischen Arm und Reich spricht, den die Reichen selbstverständlich gewinnen werden. Hildebrandt hat sich echauffiert über Steuerparadiese und Geldwäsche und über die Banken, die der brave Steuerzahler retten musste. Schließlich Kästners Empörung über die Nacht der Scherben, als Nazi-Horden die Fenster jüdischer Geschäfte einschlugen, die Polizei zuschaute und das ganze als Volksaktion verkauft wurde. Das Volk selbst schaute unsicher und schwach weg, Kästner sprach vom unheimlichen Fluch, vom ratlosen Gewissen. Parallel dazu Hildebrandts Ahnung, dass rechtes Gedankengut wieder in die Köpfe der Leute kommt. Er verurteilt geschmeidige Wahlkämpfer, die ihre Fahne nach dem Wind drehen. Während Kästners Weihnachten eine sehr rührselige Geschichte über kleine Leute ist, mokiert sich Hildebrandt über Betriebsweihnachtsfeiern und dass der Nikolaus auch nicht mehr ist, was er mal war, sondern ein Ein-Euro-Jobber mit Migrationshintergrund. Sittler spielte schließlich den Hildebrandt, der immer alles so wunderbar auf den Punkt bringen konnte und beispielsweise meinte: „Altern ist alternativlos und Würde ein Adjektiv“. Dessen Rundumschlag zum Sport im Fernsehen zwischen Skispringen, Schießen auf Skiern und langweiligen Formel-1-Rennen sorgte für Erheiterung.