Ludwigsburger Kreiszeitung vom 12. Oktober 2012
Die evangelische Jugendhilfe Hochdorf ist bereits seit 20 Jahren in der Stadt aktiv. In dieser Zeit haben sich die Angebote teilweise stark verändert, immer häufiger werden die Eltern in die Hilfe mit einbezogen. Einst hat die Jugendhilfe mit zwei Mitarbeitern angefangen, heute sind hier 16 Sozialpädagogen beschäftigt.
Die Tagegruppe in der Bietigheimer Moltkestraße (Foto: Holm Wolschendorf)
Von Andreas Feilhauer. Die Jugendhilfe aus dem Remsecker Ortsteil Hochdorf hat sich inzwischen zu einem festen Bestandteil des sozialen Lebens in Bietigheim-Bissingen entwickelt. Angefangen hat es vor 20 Jahren mit der Tagesgruppe. Hier wurden und werden Kinder und Jugendliche betreut, die in der Schule auffallen – teils wegen ihrer schlechten Leistungen oder wegen ihres sozialen Verhaltens. „Doch wir müssen immer wieder feststellen, dass die Probleme einen weit differenzierten Hintergrund haben. Entweder kommen die Kinder nicht mit den Verhältnissen in der Schule zurecht oder sie haben Probleme zu Hause. Daher werden bei den Angeboten immer mehr die Eltern mit einbezogen“, sagt Claudia Obele, Vorsitzende der Jugendhilfe.
Beratung und praktische Tipps
Aus dieser Erkenntnis wurde vor zwölf Jahren ein weiteres Angebot geschaffen – die flexible Hilfe. Hier hat die Jungendhilfe immerhin zehn Mitarbeiter beschäftigt, die die Familien in ihren Wohnungen aufsuchen, beraten und praktische Tipps geben. Oftmals müssten die Eltern zuerst erkennen, dass sie überhaupt ein Problem haben, um anschließend an der Lösung mitzuarbeiten. Obele: „Die Anforderungen an die Eltern haben sich in der Vergangenheit stark gewandelt. Sucht, Trennung Arbeitslosigkeit spielen eine große Rolle. Alle Eltern wollen ihre Arbeit gut machen, doch manche können es einfach nicht.“
In beiden Einrichtungen geht es darum, die Kinder und Jugendlichen mit individuellen Angeboten aus einer manchmal ausweglosen Situation zu holen. Vor allem in der Ganztagesbetreuung an den Schulen hätten manche Kinder Probleme mit großen Gruppen und würden sich daher immer weiter zurückziehen. Dieser Teufelskreis müsse möglichst früh durchbrochen werden. Die Jugendhilfe baut daher auf Kooperation mit den Schulen, um auch hier mehr Angebote unterzubringen.
Wohngruppe für Ausreiser
Doch manchmal nutzt alles nichts, dann muss auf die Wohngruppe zurückgegriffen werden. Hier werden Jugendliche betreut, die von der Jugendhilfe aus ihrem familiären Umfeld genommen werden oder ganz einfach von zu Hause ausgerissen sind (siehe Text nebenan). Insgesamt stehen hier sieben Plätze mit vier Mitarbeitern zur Verfügung.
„Wir sind keine Betreuungsanstalt, wir bieten sehr differenzierte Hilfe an. Die Erkenntnis, dass nur auf diese Weise unsere Sozialarbeit erfolgreich sein kann, hat sich in den vergangenen 20 Jahren durchgesetzt. Wenn wir jetzt auch noch mehr in die Schularbeit integriert werden, dann bin ich sehr optimistisch für die Zukunft“, sagt Claudia Obele. Die Jugendhilfe Hochdorf ist neben dem Stammsitz auch noch in Ludwigsburg, Sachsenheim und Kornwestheim tätig.
Trauriger Rekord wird 2012 erwartet
Immer mehr Kinder und Jugendliche im Landkreis Ludwigsburg müssen kurz- oder langfristig in Pflegefamilien unterkommen. Waren es im Jahr 2007 noch insgesamt 80 Kinder und junge Erwachsene, die nicht mehr bei ihren Eltern bleiben konnten oder wollten, stieg die Zahl im Jahr 2009 schon auf 107 Kinder, im Jahr 2010 sogar auf 146 Kinder. Der bisher traurige Höhepunkt ist im Jahr 2011 erreicht worden – 191 Kinder, die bei Bereitschaftspflegefamilien des Jugendamtes oder beim Team der Kinder- und Jugendhilfe Karlshöhe in Ludwigsburg in Obhut genommen wurden. Und die Tendenz ist weiter steigend. Im laufenden Jahr wird sowohl vom Jugendamt als auch von der Jugendhilfe Karlshöhe ein neuer Spitzenwert mit über 200 Kindern erwartet.
Erstaunlich ist: 92 der 146 Kinder aus dem Jahr 2011 sind Mädchen. Vor allem bei den 15- bis 17-jährigen ist laut Jugendamt ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Die Gründe für eine sogenannte Inobhutnahme sind unterschiedlich. In 44 Prozent aller Fälle geht sie auf die Eltern zurück, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Auch Konflikte, Gewalt und Missbrauch in den Familien sind oft Gründe, wieso Kinder sich zu Hause nicht mehr geborgen fühlen. Entgegen dem Vorurteil, „dass die Kinder meist aus Familien kommen die sowieso schon Hilfe brauchen“, sind 51 Prozent der Kinder und Jugendlichen, um die sich die Karlshöhe und Jugendamt kümmern müssen vorher noch nie in Kontakt mit der Jugendhilfe gekommen.25 Prozent waren schon einmal stationär untergebracht, 24 Prozent erhalten ambulante Hilfe in den Familien.
Rund die Hälfte der Kinder kann, nach intensiven Gesprächen, wieder nach Hause zurück. Wenn nötig, wird die Familie auch daheim von einem Sozialarbeiter unterstützt. Sollte dies nicht möglich sein, werden die Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien und Wohngruppen wie in Bietigheim vermittelt. (sil)