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Für viele gibt es kein zurück

Ludwigsburger Kreiszeitung vom 07. August 2015

Zwei 17-Jährige fliehen auf sich selbst gestellt vor Vertreibung und Tod aus Somalia – Betreuung durch die Jugendhilfe

Die minderjährigen Flüchtlinge lernen Deutsch. Wo das Somali-Wörterbuch nicht ausreicht, verständigen sie sich mit Englisch.

Die beiden 17-Jährigen stellen sich freundlich vor beim Händeschütteln. Sie lächeln. Etwas unsicher, etwas neugierig. Bashir und Abukar (Namen geändert) sind aus Somalia. Allein geflohen, weil sie einer ethnischen Minderheit angehören, der dort täglich Verfolgung und Tod droht. Eigentlich wollen sie zuerst nicht mit der Presse sprechen, sind aber bereit, ihre kleine Wohngemeinschaft über der Zentrale der Jugendhilfe Hochdorf zu zeigen: Beide haben ein kleines Zimmer, Bad, eine Küche. Der Herd und andere Geräte sind alt, aber sie funktionieren noch.

„Am liebsten esse ich Pasta oder Pizza“, sagt Bashir auf Englisch. Die Neugierde siegt doch und die Beiden reden ein wenig. Nicht über die Gräuel in Somalia oder ihre Flucht, aber wie ihr Leben in Hochdorf aussieht. Bashir spielt gerne auf der Gitarre, die er von seinem Betreuer Stefan Vaihinger bekommen hat. „Er spielt somalische Lieder“, erklärt Abukar. Sein Englisch ist etwas besser. Diese Sprache zumindest rudimentär zu beherrschen, sei entscheidend, „die muss man lernen, sonst schafft man die Flucht nicht“, sagt Claudia Obele, Vorstandsvorsitzende der Jugendhilfe im Kreis Ludwigsburg. Mit Sozialarbeiter und Diakon Vaihinger ist sie beim Gespräch dabei. Das hilft, dass sich die Jugendlichen etwas öffnen.

Foto: Holm Wolschendorf

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Die 17-Jährigen sprechen neben Somali auch Arabisch. Deutsch lernen sie seit ein paar Monaten. Wenn Bashirs Sprachkenntnisse nicht ausreichen, wechselt er in seine Muttersprache, Abukar übersetzt. Auch die Geschichte von der ersten Begegnung mit einem deutschen Metzger. Bashir trägt ein Cappy, auf der Straße würde man ihn für einen Jugendlichen aus Deutschland halten. Aber für einen Jungen aus Somalia gibt es einige kulturelle Hürden, über die man in Deutschland stolpern kann. So schockierte ihn die Auslage in einer Metzgerei. Rohes Fleisch hatte er so noch nie gesehen, da es üblich war, dass seine Mutter es einkaufte und gleich zubereitete. Während Abukar die Anekdote erzählt, schaut Bashir ein wenig verlegen drein. So etwas ist nur eines von vielen kleinen Problemen. Schon der Einkauf wird zum Abenteuer, wenn man weder die Sprache gut genug kennt, noch annähernd auf die Masse an Waren in einer Konsumgesellschaft eingestellt ist. Welche Tube enthält Hautcreme und welche Duschgel? Haftspray für die Haare oder ist es ein Deo? Ganz zu schweigen von Dutzenden verschiedenen Tetrapaks; bunt und über und über voller Symbole und Markenzeichen.

Was nach dem kleinen Kulturschock aus dem Familienurlaub klingt, das begegnet Abukar und Bashir tagtäglich. Sie werden aber wohl nicht wie nach einer Reise heimgehen – wahrscheinlich gibt es nichts mehr, zu dem die Jugendlichen zurückkehren könnten. Denn in Somalia droht ihnen Gewalt und Tod, vermutlich auch noch in vielen Jahren. In einem separaten Gespräch mit Obele und Vaihinger entsteht ein klareres Bild von dem, was die 17-Jährigen durchmachen mussten. „Einer von ihnen hat seinen Vater verloren, einer hat gesehen, wie sein Onkel erschossen wurde“, sagt ihr Betreuer. Viele Details mag er nicht nennen. Teilweise seien die Familienmitglieder der beiden ebenfalls geflohen, andere wurden gefoltert oder verstümmelt. In diesem Klima schickten die beiden Familien Abukar und Bashir mit etwas Geld auf die Flucht. Gehört haben die zwei von ihren Verwandten seitdem nichts mehr.

Sechs Monate waren die Jungen von Somalia bis nach Deutschland unterwegs. Vieles zu Fuß, sagt Vaihinger. Im März landeten sie dann im Erstaufnahmelager in Karlsruhe. Eigentlich war Frankfurt ihr Ziel, aber Baden-Württemberg ist nun zuständig, da Abukar und Bashir hier von der Polizei aufgegriffen wurden. Dass sie bleiben wollen, ist klar. „Sie sehen keine Perspektive in der Heimat. Sie wollen etwas aus ihrem Leben machen“, betont Obele. Beide hätten Wünsche wie andere Jugendliche auch, so die Vorstandsvorsitzende: Ausbildung, Beruf, eine Familie gründen. Das kann aber dauern. „Es darf keine Ausbildung begonnen werden, solange der Asylantrag läuft“, sagt Vaihinger. (Von Sebastian Grosshans)

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