Bietigheimer Zeitung vom 13.05.2011
Aussetzung der Zivildienstleistenden durch Politik bedeutet für Sozialarbeit erhebliches Problem
So sehr sich mancher junge Mann darüber freuen mag, dass die Bundeswehrpflicht ab 1. Juli ausgesetzt wird - soziale Einrichtungen sind weniger erfreut: sie haben plötzlich keine Zivildienstleistenden mehr.
Was vielen sozialen Anbietern landauf, landab zu schaffen macht, ist gerade auch beim eingetragenen Verein "Hochdorf evangelische Jugendhilfe im Landkreis Ludwigsburg" ein ernstes Thema. Seit 1973 standen insgesamt über 170 "Zivis" in Diensten dieser bedeutenden Einrichtung. Zuletzt, bis Februar, waren es noch sechs, und jetzt gibt es hier gar keine mehr von diesen wichtigen Kräften. Die Politiker haben es so gewollt.
Auch wenn Andreas Walker, Kaufmännischer Vorstand der Jugendhilfe, nicht jammern mag und in dieser Entwicklung auch eine Herausforderung beziehungsweise Chancen der Neustrukturierung und den Vorteil der noch engeren persönlichen Bindungen durch Freiwillige sieht, so fühlt man sich dennoch "von der Politik im Stich gelassen". Auch die lange Phase der Desinformation hat demnach enttäuscht.
Fakt ist laut Walker, dass alle Dienste wie zum Beispiel Essen auf Rädern, Fahrten, Besorgungen Hilfe bei erlebnispädagogischen Aufgaben und somit insbesondere die Entlastung der stark geforderten pädagogischen Fachkräfte etwa in den Wohngruppen nun über die "Zivis" nicht mehr möglich sind.
Ganz abgesehen davon, dass es schade sei, dass damit auch wichtige soziale Bindungen, Erfahrungen im sozialpädagogischen Bereich dieser jungen Menschen verloren gingen.
"Ich sehe es als sehr kritisch an, dass es nun so sein wird, dass männliche Personen durchs Leben kommen, ohne auch nur ein einziges Mal Kontakt zum sozialen Bereich gehabt zu haben", bedauert der 40-jährige Vorstand nicht nur den materiellen Aspekt, sondern auch die verloren gegangene praktische Hilfe, die "Gold wert" gewesen sei.
Natürlich habe man sich bemüht, das Ganze zu vermeiden. So habe es in der Zentrale in Hochdorf eine Podiumsdiskussion mit dem evangelischen Landesbischof und dem Bundesbeauftragten für Zivildienst gegeben. Damals, 2010, habe man noch über mögliche Verringerungen gesprochen - "aber es ist ja viel dicker gekommen", bedauert Walker. Der vermeintliche Ausgleich in Form des so genannten Bundesfreiwilligendienstes löst das Problem demnach kaum. Bisher gab es rund 90 000 Zivildienstleistende in Deutschland, die nun durch gerade mal 30 000 Freiwillige ersetzt werden sollen. Andreas Walker: "Da werden Kämpfe entbrennen. Die Träger müssen die Stellen bei sich attraktiv machen, finanzielle Anreize bieten."
Zivildienstleistende spielten bei der Jugendhilfe in Hochdorf eine bedeutende Rolle. Dort bedauert man ihre Aussetzung sehr. Foto: Privat
Bei der Jugendhilfe hat man bereits umorganisiert: Die Verbliebenen müssen nun noch mehr arbeiten beziehungsweise bekommen wie zum Beispiel der Hausmeister Zusatzaufgaben wie Einkäufe oder Fahrzeugpflege. Freiwillige - durchaus auch Rentner - könnten in den Wohngruppen helfen. Man wird Testphasen abwarten.
In Sachsenheim ist man von der neuen Situation weniger hart betroffen. Hier wird man die Schulsozialarbeit dank Stadtverwaltung und Gemeinderat im Sommer gar von 40 auf dann 60 Prozent erhöhen können.
Redaktion: WALTER CHRIST